Es sprechen unterschiedliche Gründe dafür, den Weg der Schwellenländer ins Jahr 2022 mit Optimismus zu betrachten. In den Aktienbewertungen scheint viel Vorsicht eingepreist zu sein, weshalb sie auf einen attraktiven langfristigen Wert hindeuten. Die Bewertungen des chinesischen Marktes dürften sich einem Tiefpunkt nähern und sollten sich davon ausgehend nach den negativen Meldungen im Jahr 2021 wieder erholen. Zwar könnten die kurzfristigen Belastungen durch die regulatorische Ungewissheit und die „Null-Covid“-Strategie bis ins Jahr 2022 anhalten, doch die politischen Entscheidungsträger sind bereit dazu, das Wirtschaftswachstum bei Bedarf zu stabilisieren.
2021 war ein schwieriges Jahr für die Schwellenländer. Durchwachsene Impffortschritte in den einzelne Ländern trugen zu Fehlentwicklungen bei der Überwindung der Pandemie bei. Die wirtschaftliche Wiederbelebung in den Schwellenländern und die Wiederaufnahme des Handels an ihren Aktienmärkten blieben folglich hinter dem Tempo in den Industrieländern zurück. Vor allem China bereitete Sorgen: Eine straffere Fiskal- und Geldpolitik, die Kampagne „Allgemeiner Wohlstand“ mit regulatorischen Änderungen in vielen Branchen und eine Null-Covid-Politik dämpften die Anlegerstimmung. Sorgen angesichts der Inflation und des geldpolitischen Kurses in den USA rückten ebenfalls in den Vordergrund. Wichtige Schwellenländer wie Brasilien, Mexiko, Russland und Südkorea kamen den Industrieländern mit der Absicht, den Preisdruck zu dämpfen, bei der Anhebung der Zinssätze zuvor.
Dennoch gibt es mehrere Gründe, den Weg der Schwellenländer ins Jahr 2022 mit Zuversicht zu betrachten. Beispielsweise scheint in den Aktienbewertungen viel Vorsicht eingepreist zu sein, weshalb sie auf einen attraktiven langfristigen Wert hindeuten. Auch die Aussichten für Anleihen sind ermutigend, da die Realrenditen in den Schwellenländern über jenen der Industrieländer liegen.
Auch die Haushalts- und Leistungsbilanzen der Schwellenländer sind in besserer Verfassung als zuvor. Die institutionellen Reformen der letzten Jahrzehnte in wichtigen Schwellenländern haben deren wirtschaftliche Disziplin und Krisenresistenz gestärkt. Die hohen Rohstoffpreise der letzten Monate sind ein zusätzlicher Glücksfall für die Exporteure. Die bessere Finanzlage der Schwellenländer lässt hoffen, dass es keine Wiederholung der extremen Marktspannungen gibt, denen die Schwellenländer in früheren Abschwungphasen ausgesetzt waren.
Die Bewertungen des chinesischen Marktes scheinen sich einem Tiefpunkt zu nähern und dürften sich davon ausgehend nach den negativen Meldungen im Jahr 2021 wieder erholen. Zugegebenermaßen könnten sich manche kurzfristige Belastungen allerdings bis ins Jahr 2022 hineinziehen. Es steht zu erwarten, dass China seine Null-Covid-Strategie bis weit in das neue Jahr hinein beibehalten wird, um den Erfolg der Olympischen Winterspiele und des 20. nationalen Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas nicht zu gefährden. Beschränkungen des internationalen Reiseverkehrs und sonstige Mobilitätseinschränkungen werden die Wirtschaftstätigkeit bremsen. Auch die regulatorische Ungewissheit könnte andauern. So sind die jüngsten regulatorischen Änderungen zum Teil auf den politischen Zyklus in China zurückzuführen, der im 20. nationalen Parteitag seinen Höhepunkt erreichen dürfte. Wenn sich der politische Wirbel gelegt hat, dürfte wie in den vergangenen politischen Zyklen endlich wieder Klarheit über die Rechtsvorschriften herrschen.
Die chinesische Politik hat jedoch erfreulicherweise zum Ausdruck gebracht, dass sie nach wie vor eine starke wachstumsfördernde Agenda verfolgt und nicht die Absicht hat, den Privatsektor mit Vorschriften zu ersticken. China verfügt über die politischen Instrumente zur Stabilisierung des Wachstums und ist bereit, sie bei Bedarf einzusetzen, wie die jüngste Senkung des Mindestreservesatzes im Land gezeigt hat.
In Brasilien sind die Bewertungen auf ein extrem niedriges Niveau gesunken, was interessante Investitionschancen eröffnet. Bedenken in Bezug auf eine mögliche fiskalische Nachlässigkeit, steigende Zinssätze und die Wahrscheinlichkeit eines Wiedererstarkens linker politischer Kräfte bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr haben zu einem Ausverkauf an den Märkten geführt. Selbst in dieser Situation erscheinen die brasilianischen Fundamentaldaten solider als je zuvor seit der letzten Rezession. In jüngster Zeit haben sich die brasilianische Haushalts- und Leistungsbilanz verbessert, wobei dem Land als Nettoexporteur von Öl die höheren Ölpreise zugute kamen. Die günstigen makroökonomischen Bedingungen machen sich auch auf Unternehmensebene bemerkbar. So konnte beispielsweise der staatliche Ölproduzent Petrobras dank Rationalisierung und steigenden Cashflows, die durch die höheren Ölpreise ermöglicht wurden, seine Schulden in den letzten Jahren deutlich abbauen.
In Indien ist nach der zweiten Corona-Welle eine Erholung der Wirtschaftstätigkeit zu verzeichnen. Der Kreditzyklus zeigt Anzeichen eines Aufschwungs, und die großen Banken verzeichnen ein gesundes Kreditwachstum. Auch der Wohnimmobilienzyklus nimmt an Fahrt auf, seit Häuser und Wohnungen bezahlbarer geworden sind. Gleiches gilt für den Infrastrukturzyklus im Zuge der von der Regierung eingeleiteten Infrastrukturmaßnahmen. Indiens Konjunkturbelebung geht mit einer soliden Haushalts- und Leistungsbilanz einher.
In den Schwellenländern sind weiterhin positive strukturelle Kräfte zu beobachten, die neue Investitionschancen eröffnen dürften. Die Digitalisierung ist ein wichtiges Thema. Indiens florierende Internetwirtschaft zieht Kapital von Anlegern an, die auf der Suche nach neuen Wachstumsbereichen sind, vor allem angesichts des regulatorischen Wandels in China. Der elektronische Zahlungsverkehr, Lebensmittellieferungen und andere disruptive Geschäftsmodelle sind auf dem Vormarsch und veranlassen selbst traditionelle Unternehmen zu Innovationen, um der Konkurrenz standzuhalten. In China gewinnt die Digitalisierung der Industrie an Fahrt, da die Wirtschaft einen Aufstieg in der Wertschöpfungskette anstrebt. Weltweit unterstreicht die anhaltende Halbleiterknappheit die enorme Nachfrage nach Chips aufgrund des technologischen Fortschritts, und so werden starke Gewinne für einige der weltweit größten Halbleiterunternehmen in Märkten wie Taiwan und Südkorea erwartet.
Die Dekarbonisierung ist ein weiterer Trend, den es zu beobachten gilt. Die Zusagen der großen Schwellenländer, CO2-Neutralität zu erreichen, dürften die Initiativen rund um Elektrifizierung und erneuerbare Energien verstärken und damit auf mehrere Jahre hinaus für eine Belebung in den betreffenden Branchen sorgen. Wir haben erlebt, wie sich das Wachstum südkoreanischer Hersteller von Elektrofahrzeugbatterien und chinesischer Solarenergieunternehmen stark beschleunigt hat und sie dadurch zu weltweit führenden Unternehmen aufgestiegen sind.
Bestimmte Risiken könnten den Gesamtausblick für die Schwellenländer verändern, wenngleich sie nicht Teil des Basisszenarios sind. So könnte beispielsweise ein plötzlicher und starker Anstieg der US-Leitzinsen eine Marktvolatilität auslösen. Umgekehrt könnte eine unerwartet lockere US-Politik den Schwellenländern helfen, die Industrieländer zu überflügeln. Gleichzeitig könnten gefährlichere COVID-19-Varianten auftauchen. Die Marktschwankungen, die auf die jüngste Entdeckung der Omikron-Variante folgten, erinnern an die nach wie vor bestehenden Ungewissheiten, auch wenn die bisherigen Anzeichen darauf hindeuten, dass die Symptome der Variante milder ausfallen könnten als befürchtet.
Auch die Beziehungen zwischen China und Taiwan gilt es im Auge zu behalten, da sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern zuspitzen.
In dem sich weiterentwickelnden Anlageumfeld ist in den Schwellenländern vor allem auf die Widerstandsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften und Unternehmen zu achten.
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